Berlin: Eine Reihe von denjenigen, die die knapp 45minütige Bundestagsdebatte zur Barriefreiheit am 2. Dezember verfolgt haben, haben sich wahrscheinlich die Augen gerieben, dass nun plötzlich alle für Barrierefreiheit sind und es sogar der CDU/CSU dafür nicht schnell gehen kann. "Mehr Tempo für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum" lautet der Titel deren Antrag, der debattiert wurde. Aber auch vonseiten der Regierungsfraktionen waren in der Debatte Töne zu vernehmen, die die Frage aufwerfen, warum wir nicht schon in einem barrierefreien Land leben. Der Hobby-Chronist der kobinet-nachrichten Dr. Martin Theben hat angesichts einer vermeintlich solch großen Übereinstimmung in Sachen Barrierefreiheit im Bundestag sein Archiv bemüht und verweist auf die Bundestagsdebatte zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vom 20. Mai 2021. Stoff genug für einen Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul zur anscheinend von allen gewollten Barrierefreiheit solange es nicht zu konkret wird.
Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul
Ach waren das wohltuende Klänge, die da am Vortag des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderungen aus dem Deutschen Bundestag heraus an die Ohren des Volkes klangen. „Mahr Tempo für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum“, das klingt nach einer Forderung des Deutschen Behindertenrats (DBR), der kurz vor der Bundestagsdebatte seine traditionelle Welttagsveranstaltung unter dem Motto „Ich bin nicht behindert – ich werde behindert!“ online durchgeführt hatte. Dass diese Forderung nun aber von der CDU/CSU kam und sogar mit diesem Titel in einen Antrag gegossen wurde, das verwunderte dann doch. Dass dabei von verschiedenen Akteur*innen in der Debatte ein Rückblick auf die letzten Jahre der Behindertenpolitik nicht ausblieb, kann man sich angesichts der durchgängigen 16jährigen Regierungszeit der CDU/CSU ohne allzugroßes Tempo bei diesem Thema vorstellen. Verwunderlich war an der Debatte aber vor allem, dass sich alle Redner*innen einig darin schienen, dass Barrierefreiheit einen richtigen Push braucht. Man fragt sich also, woran es denn überhaupt scheitert, dass Deutschland nicht barrierefrei ist. Waren früher die Regierungsfraktionen eher die Zögerer und Zauderer, gaben diese diesem mal mit der neuen rot-grün-gelben Koalition Rückenwind für die Forderungen.
Den geneigten Zuhörer*innen der Debatte drängte sich also förmlich die Frage auf, woran es denn nun genau liegen könnte, dass wir in Deutschland in Sachen Barrierefreiheit soweit hintendran sind. Vielleicht liegt dies daran, dass nicht jeder Tag der Internationale Tag der Menschen mit Behinderugen ist und die an solchen Tagen gemachten Verkündigungen im Alltag schnell wieder anderen Interessen weichen? Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich die Geister beim Thema Barrierefreiheit spätestens dann scheiden, wenn es über den viel und gern beschworenen, aber meist sehr uneffektiven, Abbau der Barrieren in den Köpfen hinausgeht. Also, wenn konkrete Regelungen gefordert werden, die beispielsweise die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit verpflichten, beziehungsweise den Bund, die Länder oder die Kommunen etwas kosten.
Und unter diesen Aspekten werden die weiteren Debatten und vor allem Schritte für mehr Barrierefreiheit, die nun u.a. mit der Bundesinitiative Barrierefreiheit von der Bundesregierung angekündigt wurden, auch zu betrachten sein. Die Töne vonseiten der Regierungsfraktionen waren dahingehend wohlklingend, auf die Zwischentöne und vor allem die Details, was das genau heißt und vor allem, was ganz konkret getan wird, wird sehr genau zu achten sein. Auch die Rolle der CDU/CSU dürfte dabei sehr interessant sein, wenn es konkreter und verpflichtender wird.
Dabei lohnt der von Dr. Martin Theben angeregte Blick zurück, beispielsweise auf die Debatte zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vom 20. Mai 2021. Dort hatten so einige Akteur*innen aus der damals regierenden CDU/CSU- und SPD-Fraktion sich noch nicht den Schafspels ihrer heutigen Rollen umgehängt. Daher sei das Protokoll und die Debatte von vor eineinhalb Jahren all denjenigen ans Herz gelegt, die daran Interesse haben, solche Debatten, wie die vom 2. Dezember, entsprechend einzuordnen.
Link zu den Redebeiträgen der Bundestagsdebatte vom 2. Dezember 2022
Link zu Infos zur Bundesinitiative Barrierefreiheit des Bundesministerium für Arbeit und Soziales