Berlin: Behinderte Menschen müssen weiter im Barriere-Lockdown verharren, weil die Bundesregierung und die Regierungskoalition weiterhin auf Maßnahmen setzt, die sich längst als untauglich erwiesen haben. So brachte Dr. Sigrid Arnade von der LIGA Selbstvertretung quasi zum Schluss der heutigen Anhörung zum Gesetzentwurf für ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz die Kritik am Gesetzentwurf auf den Punkt. Wenn weiterhin lediglich auf Sensibilisierung und Überzeugungsarbeit, statt auf klare gesetzliche Verpflichtungen, gesetzt werde, was schon seit 30 Jahren nichts gebracht habe, sehe sie nicht, warum sich zukünftig etwas verändern sollte.
Einem Bericht von Heute im Bundestag zufolge forderte Dr. Sigrid Arnade bei der Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales klare gesetzliche Vorgaben zur Barrierefreiheit, wie es sie in den USA seit 1990 gebe, ohne dass dort die Wirtschaft Pleite gegangen sei. Dass diese Forderung von den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD aufgenommen wird, erscheint nach der heutigen Anhörung mehr als fragwürdig. So waren die Behindertenbeauftragten von CDU/CSU Wilfried Oellers und von der SPD Angelika Glöckner bei ihren Fragestellungen hauptsächlich damit beschäftigt, sich von den von ihnen geladenen Sachverständigen Zustimmung für Regelungen zu erhaschen, die im Anhörungsprozess des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ohnehin schon in den Gesetzentwurf eingebaut wurden. Dies wurde von so manchen Sachverständigen auch freundlich bedient. Fragen für die Weiterentwicklung des Gesetzentwurfs waren dabei weitgehend Fehlanzeige von den Regierungsfraktionen.
Umso beschämender war es dann, dass gerade von der AfD-Fraktion durch ihre Fragen der Finger in manche Wunde des Gesetzes gelegt werden musste, um endlich andere Töne in die Anhörung zu bringen. Bei den Fragen der FDP, der LINKEN und der Grünen kamen dann mit den Sachverständigen Christiane Möller, Dr. Sigrid Arnade und Dr. Sabine Bernot endlich die Fragen auf den Tisch, die für eine umfassende Barrierefreiheit zentral sind. Christiane Möller vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) brachte das klar auf den Punkt. Sie sprach dem Bericht von Heute im Bundestag zufolge von einer mutlosen Minimalumsetzung der europäischen Vorgaben. Im Interesse der Grundrechte von Menschen mit Behinderungen hätte viel mehr getan werden müssen. Sie forderte unter anderem, die vorgesehenen Übergangsfristen von bis zu 15 Jahren, beginnend ab 2025, - also teils bis 2040 geltend - abzukürzen. Und weiter betonte Christiane Möller: "Der Entwurf ist nicht ambitioniert, nicht ehrgeizig, mutlos und eine Minimalumsetzung europäischer Vorgaben. Deutschland hätte es besser angestanden, deutlich mehr zu machen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland voranzubringen. Bei so wenig Herzblut, wie bei der Barrierefreiheit, muss man sich nicht wundern, international im Nachteil zu sein. Wir müssten uns nicht erst von USA sagen lassen, was in Sachen Barrierefreiheit nötig ist."
Dr. Sabine Bernot von der Monitoringstelle UN-Behindertenrechtskonvention beim Deutschen Institut für Menschenrechte macht in ihrem Statement klar, dass bis 2030 alles barrierefrei sein sollte. Ob die Zuständigen der CDU/CSU und SPD-Fraktionen dazu den Mut haben, müssen sie nun bei der Formulierung ihrer Änderungsanträge zeigen, die am Mittwoch, 19. Mai, zur Abstimmung im Ausschuss für Arbeit und Soziales stehen. Nach der miserablen Performance und dem begrenzten Interesse am Thema ist damit aber nicht zu rechnen. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt.