Berlin: Das Bundeskabinett hat heute das Teilhabestärkungsgesetz beschlossen, um Menschen mit Behinderungen neue Möglichkeiten im Alltag zu geben, heißt es in einer Presseinformation des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. In ersten Reaktionen wird das Für und Wider einer Reihe von vorgeschlagenen Regelungen deutlich.
"Wir wollen die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen deutlich weiter ausbauen. Eine inklusive Gesellschaft – das ist das Ziel, auf das wir hinarbeiten. Es ist aber auch unsere tagtägliche Aufgabe im Alltag. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist dabei der Leitfaden. Mit dem Teilhabestärkungsgesetz wollen wir weitere Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen erreichen", erklärte der Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil.
Konkret sieht der Gesetzentwurf nach Informationen des Ministeriums u.a. folgende für behinderte Menschen interessante Regelungen vor:
Assistenzhunde sollen künftig Zutritt haben zu typischerweise der Allgemeinheit zugänglichen Anlagen und Einrichtungen – auch wenn Hunde sonst verboten sind.
Das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wird um eine Gewaltschutzregelung ergänzt. Leistungserbringer von Reha- und Teilhabeleistungen sollen geeignete Maßnahmen treffen, um den Schutz vor Gewalt, insbesondere für Frauen, zu gewährleisten. Damit werde die Verpflichtung aus Artikel 16 der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt.
Das Budget für Ausbildung wird erweitert. Künftig sollen auch Menschen, die schon in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten, über das Budget für Ausbildung gefördert werden können. So werde eine weitere Möglichkeit geschaffen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu werden.
Jobcenter können nun Rehabilitand*innen so fördern wie alle anderen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Die Möglichkeiten der aktiven Arbeitsförderung in den Jobcentern und Arbeitsagenturen werden ausgebaut.
Digitale Gesundheitsanwendungen werden neu in den Leistungskatalog zur medizinischen Rehabilitation im SGB IX aufgenommen.
Schließlich werde die ausstehende Regelung zum leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe des SGB IX, wie in dem im Jahr 2016 verabschiedeten Bundesteilhabegesetz angekündigt, in einer modernen und diskriminierungsfreien Sprache vorgenommen, betont das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
In einer ersten Reaktion auf den vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf, der nun in den Deutschen Bundestag eingebracht und dort weiter beraten wird, haben der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Weiß, und der Behindertenbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wilfried Oellers wie folgt Stellung bezogen:
Peter Weiß erklärte: "Teilhabe und Vielfalt sind zwei Seiten einer Medaille in einer inklusiven Gesellschaft. Und vielfältig sind auch die Regelungen des Teilhabestärkungsgesetzes, dessen Entwurf die Bundesregierung heute beschlossen hat. Darunter sind mehrere Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen, für die wir uns als Union sehr engagiert haben. So machen wir das Budget für Ausbildung attraktiver: Künftig sollen auch Menschen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen oder einem anderem Leistungsanbieter über das Budget für Ausbildung im Sinne eines 'lebenslangen Lernens' gefördert werden können.“
Wilfried Oellers betonte: "Wir verbessern die Betreuung von Rehabilitanden in den Jobcentern, indem spezifische Förderleistungen von den Jobcentern auch neben einem Rehabilitationsverfahren erbracht werden können und die Koordinierung von Leistungen zwischen den Rehabilitationsträgern und den Jobcentern optimiert wird. Und wir schaffen im Behindertengleichstellungsgesetz einen Rechtsanspruch für Menschen mit Behinderungen auf Begleitung durch einen Assistenzhund und regeln die dazu gehörige Ausbildung und Zertifizierung. Jetzt geht es im parlamentarischen Verfahren darum, dieses schon sehr gute Paket für mehr Teilhabe noch weiter zu befüllen. So liegt uns unter anderem die Verbesserung der Regelungen zur Entlohnung von Werkstattbeschäftigten sehr am Herzen.“
Vonseiten der Opposition im Deutschen Bundestag liegen den kobinet-nachrichten kurz nach dem Kabinettsbeschluss zudem erste Stellungnahmen von Sören Pellmann von den LINKEN und Corinna Rüffer von den Grünen vor.
Sören Pellmann greift der Gesetzentwurf zur Teilhabe zur kurz. Er erklärte: "Es müssen endlich transparente Kriterien für barrierefreie und wirksame Beteiligungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen und ihre Selbstvertretungsorganisationen und Verbände verbindlich gesetzlich festgeschrieben werden, die zusammen mit diesen erarbeitet werden", so der Sprecher der Fraktion DIE LINKE für Inklusion und Teilhabe, mit Blick auf den entsprechenden Gesetzentwurf. Pellmann sagte weiter: "Wiederholt hat die Bundesregierung den Verbänden und Selbstvertretungsorganisationen viel zu wenig Zeit zur Sichtung und Abgabe einer Stellungnahme gegeben. Als unverhofftes 'Weihnachtsgeschenk' wurde der Entwurf am 22.12.2020 mit Rückmeldefristsetzung bis zum 8.1.2021 versendet, die nach heftigen Protesten dann noch auf den 15.1.2021 verlängert wurde, was immer noch viel zu kurz ist über Feiertage und Jahreswechsel. Teilhabestärkung sieht anders aus." Grundsätzlich begrüße die Linksfraktion jegliche Stärkung der Teilhabe für Menschen mit Behinderungen, so auch die geplante Ausweitung des Budgets für Ausbildung. "Aber der Referentenentwurf greift viel zu kurz, es bleibt nur zu hoffen, dass das Kabinett noch einige Ergänzungen wie beispielsweise eine sofortige Kostenübernahme für Assistenzhunde, eine deutliche Anhebung der Ausgleichsabgabe und eine umfassende Verbesserung von Beratung und Vermittlung von arbeitslosen Menschen mit Behinderungen sowie vollständig einkommens- und vermögensunabhängig ausgestaltete Teilhabeleistungen vornimmt."
Corinna Rüffer, die Sprecherin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen betonte angesichts des heutigen Kabinettsbeschlusses: "Es ist allerhöchste Zeit, Menschen mit Behinderungen – vor allem Frauen mit Behinderungen – besser vor Gewalt zu schützen. Um Gewalt insbesondere auch in stationären Einrichtungen wirksam zu verhindern, braucht es u. a. ein umfassendes Schutzkonzept, Identifizierung und Beseitigung gewaltbegünstigender Strukturen, verbindliche zeitliche Vorgaben zur Umsetzung der Gewaltschutzmaßnahmen sowie eine vom Leistungserbringer unabhängige Kontrollinstanz. Statt schwammiger Leitbilder muss die Bundesregierung konkrete Maßnahmen vorlegen. Es ist an der Zeit, die UN-Behindertenrechtskonvention endlich umzusetzen.“