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Notfall beim Notruf: Gehörlose fordern gleichwertigen Zugang zu Notdiensten

Berlin: Anlässlich des gestrigen Europäischen Tages des Notrufs 112 beklagt der Deutsche Gehörlosen-Bund (DGB) den Notfall beim Notruf. Der Verband fordert, dass gehörlose Menschen endlich einen gleichwertigen Zugang zu Notdiensten wie Hörende bekommen müssen und informiert über den aktuellen Stand in Sachen barrierefreier Notruf in Deutschland.

Zur Notruf-App des Bundes "Nora“

Nach zeitlichen Verzögerungen durch gerichtliche Vergabenachprüfungsverfahren hat das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (IM-NRW), das die Notruf-App federführend bundesweit umsetzen sollte, im August 2020 einen Vertrag mit der bevuta IT GmbH aus Köln und der Deutschen Telekom unterzeichnet. Damit begannen die Arbeiten zur Entwicklung der Notruf-App des Bundes.

Der DGB und das IM-NRW kommunizieren seit Anfang 2020 miteinander und tauschen sich über den aktuellen Sachstand der Notruf-App aus. Bisher hat das IM-NRW drei Newsletter veröffentlicht und in Deutscher Gebärdensprache bereitgestellt, um Transparenz zu schaffen. Für die Einbeziehung von Menschen mit Hörbehinderungen hat das IM-NRW gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben für Menschen mit Sinnesbehinderung NRW (KSL MSi NRW) eine Taskforce gebildet. Seit Januar 2021 beteiligt Daniel Büter für den DGB sich an der Taskforce, um den App-Prototyp zu testen und Feedback zu geben, zum Beispiel zum Logo, zu den Piktogrammen/Icons etc. Das ist nach Ansicht des Deutschen Gehörlosen-Bundes (DGB) ein positiver Schritt für die Partizipation. Der Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention "Nichts über uns ohne uns!“ sei damit erfüllt, dies habe der DGB immer wieder angemahnt. Die Notruf-App des Bundes "Nora" soll voraussichtlich erst im April 2021 zur Verfügung gestellt werden. Sie ist anschließend nur in Deutschland nutzbar, also nicht EU-weit. Die Notruf-App soll Menschen mit Hör- und Sprachbehinderungen einen gleichwertigen Zugang zum Notruf ermöglichen.

Zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes

Am 20.11.2020 hat der DGB seine Stellungnahme zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) an das BMWi und das BMVI übermittelt und veröffentlicht.

Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zum Telekommunikationsmodernisierungsgesetz am 16.12.2020 verabschiedet. Der Bundestag hat sich in erster Lesung mit der TKG-Novelle befasst. Ziel ist das Inkrafttreten des Telekommunikationsmodernisierungsgesetzes (TKMoG) spätestens im Sommer 2021.

Gemäß Artikel 26 Absatz 4 der Universaldienstrichtlinie muss Deutschland sicherstellen, dass gehörlose, taubblinde und andere Endnutzer*innen mit Behinderungen einen gleichwertigen Zugang zu Notrufdiensten erhalten. Sie müssen also genauso einfach Notrufe absetzen können, wie die Mehrheit der Endnutzer*innen. Der Grundsatz der Gleichwertigkeit bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu Notdiensten über elektronische Kommunikationsdienste haben sollten. Dieser Zugang muss dem Anruf unter der Nummer 112 funktional gleichwertig sein, heißt es vonseiten des DGB.

Laut dem Bericht über die Wirksamkeit bzw. Effektivität der Einführung der einheitlichen europäischen Notrufnummer 112 hat die europäische Kommission im Juli 2019 Verletzungsverfahren gegen Tschechien, Deutschland und Spanien eingeleitet. Der Grund dafür war, dass gleichwertige Zugangsmöglichkeiten für Endnutzer*innen mit Behinderungen fehlen. Seitdem wurden die von der Kommission beanstandeten Themen von Spanien angegangen. Währenddessen sind Tschechien und Deutschland noch dabei, entsprechende Maßnahmen umzusetzen.

In den EU-Mitgliedstaaten werden verschiedene Zugangsmöglichkeiten zu Notrufdiensten für Endnutzer*innen mit Behinderungen angeboten: Echtzeittext, Gesamtgesprächsdienste), SMS, Notrufanwendungen, Web-Dienste, Relay-Dienste, Zugang von Spezialgeräten, E-Mail oder Fax.

Der DGB hat sich mit 31 nationalen Gehörlosenverbänden ausgetauscht, die an den europäischen Gehörlosenverband (EUD) angeschlossen sind. Als Ergebnis dieses Austauschs und mithilfe des Berichts der europäischen Kommission hat der DGB eine Übersichtsliste zum Zugang zu Notdiensten für gehörlose Menschen in den EU-Ländern erstellt.

Zum European Accessibility Act und zum Zugang zu Notdiensten

Der europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act – EAA) sieht vor, dass Notrufe in Form von Sprache und als Text in Echtzeit verfügbar sein müssen. Des Weiteren sind auch synchronisierte Gesamtgesprächsdienste vorgesehen, wenn Video verfügbar ist. Die deutschen Notrufabfragestellen müssen diese Vorschriften ab dem 28. Juni 2025 anwenden. Außerdem ist im EAA festgelegt, dass an die einheitliche europäische Notrufnummer 112 gerichtete Notrufe angemessen beantwortet werden. Hierbei müssen dieselben Kommunikationsmittel wie für den Eingang des Notrufs verwendet werden: insbesondere synchronisierte Sprache und Text in Echtzeit oder Videos in Deutscher Gebärdensprache, die als Gesamtgesprächsdienst synchronisiert werden.

"Deutschland muss die erforderlichen Maßnahmen umsetzen und durchführen, um die Anforderungen des Europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (EECC) und insbesondere des Artikels 109 in Bezug auf Notrufe und die einheitliche europäische Notrufnummer zu erfüllen. Die Eins-zu-eins-Umsetzung des EAA in nationales Recht, also im Telekommunikationsgesetz, darf nicht abgekürzt werden. Alle Endnutzer*innen mit unterschiedlichen Behinderungen sollten einen effektiven Notruf absetzen und Hilfe von den Notdiensten erhalten können", fordert der Deutsche Gehörlosen-Bund.

Link zu den Hinweisen zum Thema auf YouTube in Gebärdensprache