Springe zum Inhalt

Der European Accessibility Act: Wirklich ein gutes Barrierefreiheitsgesetz? 1. Teil

Berlin: Die europäische Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen – im englischen "European Accessibility Act (im Folgenden EAA genannt) - trat am 27. Juni 2019 in Kraft und muss von den EU-Mitgliedsstaaten bis zum 28. Juni 2022 in nationale Regelungen umgesetzt werden. Aber was steckt eigentlich für Barrierefreiheit drin im EAA und welche Regeln gibt es, um Barrierefreiheit auch konsequent umzusetzen? Dieser Frage geht Jessica Schröder von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), die sich auf europäischer Ebene für den EAA stark gemacht hat, in einem ersten Beitrag zur EAA-Umsetzung in Deutschland nach.

Bericht von Jessica Schröder

Die europäische Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen – im englischen "European Accessibility Act (im Folgenden EAA genannt) - trat am 27.06.2019 in Kraft und muss von den EU-Mitgliedsstaaten bis zum 28.06.2022 in nationale Regelungen umgesetzt werden. Aber was steckt eigentlich für Barrierefreiheit drin im EAA und welche Regeln gibt es, um Barrierefreiheit auch konsequent umzusetzen?

Der EAA bezieht sich hauptsächlich auf Regelungen für die Barrierefreiheit von Produkten und Diensten im Digitalbereich. Produkt = physisches Gerät; Dienst = Anwendung und Aktivität, die mit dem Produkt ausgeführt werden kann. Der EAA verdeutlicht durch verpflichtende Barrierrefreiheitsanforderungen, was ein Produkt/Dienst können muss, um für alle Menschen barrierefrei zugänglich und nutzbar zu sein. Diese sog. Barrierefreiheitsanforderungen werden durch gesetzliche Regelungen untermauert, die die Überwachung der Einhaltung dieser Anforderungen sicherstellen, Strafen bei Gesetzesverstößen ermöglichen und eine Rechtsdurchsetzung dieser Barrierefreiheitsanforderungen für Nutzer*innen der Produkte und Dienste garantieren. Der EAA umfasst folgende Produkte und Dienste, die barrierefrei gestaltet und somit barrierefrei bedienbar sein müssen.

Produkte:

- Computer wie Laptops, Desktop-PCs, IPad und deren Betriebssysteme

- Selbstbedienungsterminals wie Zahlungsterminals (beispielsweise Kartenlesegeräte und Selbstbedienungskassen), Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, Check-in-Automaten und Informationsterminals

- Telefone, Mobilfunkgeräte (Handys und Smartphones), die zur Kommunikation genutzt werden

- Fernsehgeräte und ihr Zubehör

- E-Book-Lesegeräte

Folgende Dienstleistungen werden umfasst, die in Kombination mit den aufgeführten Produkten, den Betrieb und die Anwendungen des Produkts ermöglichen:

- Elektronische Kommunikationsdienste wie Telefonanwendungen, Videotelefonie, Video-Text-Telefonie

- Internetkommunikation wie Messenger, Emailverkehr, mobile Messenger Apps etc.

- Dienste zum Zugang zu audiovisuellen Medien, die die barrierefreie Nutzung der Geräte ermöglichen und auch alle integrierten Features wie Untertitel, elektronische Programmführer etc., barrierefrei zugänglich machen. Dazu gehört auch der barrierefreie Zugang zu Webseiten, mobilen Apps und Mediatheken von Fernsehsendern, wie zum Beispiel von ARD oder RTL und Streamingdiensten wie Netflix

Folgende Elemente von Personenverkehrsdiensten im Luft-, Bus-, Schiffs- und Schienenverkehr, die sich jedoch größtenteils nur auf Fernverkehrsanwendungen beziehen, sind einbezogen:

- Webseiten und Mobile Apps,

- Elektronische Tickets- und Ticketdienste (beispielsweise Buchung, Bezahlung, übertragen von Tickets auf unterschiedliche mobile Endgeräte),

- Reiseinformationsdienste (Beschreibung von Reiseruten, Verkehrsstörungen, Abfahrtszeiten),

Bankdienstleistungen für Verbraucher*innen: (Geld abheben, Überweisungen, Online-Banking, Eröffnung eines Bankkontos)

- E-Books

- Onlinehandel (Amazon, Ebay)

- Notrufdienste, die im Rahmen der EU weit einheitlichen 112-Notfallnummer erbracht werden

- Die gebaute Umgebung, die die aufgeführten Produkte und Dienste umgibt (Laden, Einkaufszentrum, Bahnhof/Flughaven, Bankfiliale), kann ebenfalls barrierefrei gestaltet werden. Dies können die EU-Mitgliedsstaaten jedoch selbst entscheiden.

- Wenn Einrichtungen, die sich in öffentlicher Trägerschaft befinden, also den Städten, Gemeinden oder dem Bund gehören, die aufgeführten Produkte und Dienste durch ein Ausschreibungs- und Vergabeverfahren erwerben, müssen Bieter ebenfalls die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen.

Was bedeutet denn barrierefrei und was müssen die Produkte und Anwendungen können, um für alle Menschen auffindbar, bedienbar und nutzbar zu sein?

§ 4 des Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) enthält eine gute Erklärung zum Begriff der Barrierefreiheit:

"Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.“

Die Barrierefreiheitsanforderungen des EAA orientieren sich an dieser Definition von Barrierefreiheit. Am Beispiel der Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen, die für die Bereitstellung von Informationen durch interaktive Selbstbedienungsterminals verpflichtend sind, wird deutlich, was ein Selbstbedienungsterminal und seine Anwendungen/Dienste zukünftig für Merkmale und Möglichkeiten haben muss, um für alle Menschen mit Behinderung barrierefrei zugänglich und nutzbar zu sein.

- Bereitstellung visueller und taktiler Informationen oder visueller und auditiver Informationen, aus denen hervorgeht, an welcher Stelle die Karte in ein Selbstbedienungsterminal einzuführen ist, sodass blinde Menschen und gehörlose Menschen den Terminal nutzen können.

- Konsequente bzw. klar und logisch strukturierte Verwendung derselben Begriffe, sodass Menschen, die eine geistige Beeinträchtigung haben, sie besser verstehen können.

- Möglichkeit, Text oder ein bestimmtes Piktogramm zu vergrößern oder den Kontrast zu erhöhen, sodass sehbehinderte Menschen die Informationen wahrnehmen können.

- Vorsehen, dass Touchscreen-Tasten größer dimensioniert und klar voneinander getrennt angeordnet sind, damit sie von Menschen, die unter einem Tremor leiden, bedient werden können.

- Sicherstellung, dass die Bedienung von Tasten keinen zu hohen Kraftaufwand erfordert, damit sie von motorisch eingeschränkten Menschen bedient werden können.

Wie wird sichergestellt, dass die Barrierefreiheitsanforderungen auch umgesetzt werden und die Umsetzung kontrolliert wird?

Damit die Barrierefreiheitsanforderungen auch eingehalten und überprüft werden können, sieht der EAA eine Reihe von gesetzlichen Verpflichtungen für alle Produkthersteller und Anbieter von Diensten vor. Wenn eine Firma zum Beispiel ein neues Telefon mit ganz unterschiedlichen Optionen, wie die Steuerung des Telefons durch das gesprochene Wort oder die Möglichkeit, dass gehörlose Menschen mit diesem Telefon mit hörenden Menschen über Echtzeit-Texteingabe und Videotelefonie kommunizieren können, herstellt und vertreibt, dann muss dieser Produkthersteller durch eine von ihm selbst erstellte schriftliche Erklärung versichern, dass das Produkt die Barrierefreiheitsanforderungen des EAA erfüllt. Diese Selbstbeurteilung dient den Marktüberwachungsbehörden als Grundlage, um zu überprüfen, ob das Produkt wirklich die Barrierefreiheitsanforderungen aus dem EAA umsetzt. Anhand von Stichproben der Produkte und dem Abgleich mit der Selbstbeurteilung des Herstellers soll eine effektive Marktüberwachung gewehrleistet werden. Solche Marktüberwachungen sind üblich und werden durchgeführt, um zu garantieren, dass nur sichere Produkte und Dienste angeboten und bereitgestellt werden, die den Produktsicherheits- und Barrierefreiheitsregelungen entsprechen und keine Gefahr für die Verbraucher*innen darstellen.

Wenn eine Marktüberwachungsbehörde feststellt, dass ein Produkt die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllt, kann sie den Produkthersteller zwingen, das Produkt in einer von der Behörde vorgegebenen Frist barrierefrei zu gestalten. Wenn der Hersteller die Anweisung nicht befolgt, kann die Marktüberwachungsbehörde dem Produkthersteller verbieten, sein unzugängliches Produkt weiterhin zu vertreiben. Die Marktüberwachungsbehörde kann den Hersteller auch bestrafen, meist durch die verpflichtende Zahlung eines Bußgeldes, wenn sie dies für angemessen hält. Die verhängten Strafen müssen wirksam, abschreckend und verhältnißmäßig sein. Sie müssen also dazu führen, dass der betroffene Hersteller zukünftig nur noch barrierefreie Produkte vertreibt. Bei der Festlegung der Strafe müssen die Anzahl der betroffenen Produkte und die mutmaßliche Anzahl der durch die mangelnde Barrierefreiheit geschädigten Personen berücksichtigt werden. Außerdem müssen die Sanktionen von geeigneten Abhilfemaßnahmen, wie die Vermittlung von Knowhow durch Fachexpert*innen begleitet werden, die den Hersteller oder Dienstanbieter darin unterstützen, zukünftig barrierefreie Produkte und Dienste zu vertreiben.