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Der Ball für mehr Barrierefreiheit liegt nun auf dem Spielfeld

Berlin: Lange hat es gedauert, bis die Bundesregierung den Ball aus dem Koalitionsvertrag aufgenommen und die dort vorgesehenen Initiativen für mehr Barrierefreiheit angepackt hat. Nun hat das Bundeskabinett die Eckpunkte für die Bundesinitiative Barrierefreiheit mit dem vielversprechenden Untertitel "Deutschland wird barrierefrei" verabschiedet. Nach Ansicht von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul liegt damit nun der Ball für mehr Barrierefreiheit in Deutschland auf dem Spielfeld. Diejenigen, die sich für Fußball interessieren, wissen aber auch, dass viele Anstrengungen nötig sind, damit der Ball im richtigen Netz landet.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Ob man sich für Fußball interessiert oder eine*n diese Sportart und das zuweilen äusserst zweifelhafte Treiben drumherum völlig kalt lässt, ein Fußballspiel hat viel mit der Politik zu tun. Auch wenn es in der Politik um viel mehr für die Menschen geht, als bei dem zuweilen sehr überbewerteten Spektakel auf dem grünen Rasen. So wie ein gutes Fußballspiel eine gute Vorbereitung braucht, bedarf es auch in der Politik guter Ausgangsbedingungen, eine gute Planung und vor allem eine gewinnbringende Strategie. Nachdem die Bundesregierung nun mit der Verabschiedung der Eckpunkte für eine Bundesinitiative Barrierefreiheit den Ball für ein barrierefreies Deutschland auf das Spielfeld gelegt hat und das Spiel angepfiffen wurde, bleibt zu hoffen, dass die Rahmenbedingungen und der Wille zum Sieg bei allen notwendigen Akteur*innen entsprechend ausgeprägt ist.

Auch wenn mit den Eckpunkten für die Bundesinitiative Barrierefreiheit die Rahmenbedingungen gut zu sein scheinen, bleibt abzuwarten, ob die Spieler*innen der einzelnen Ministerien gut trainiert und siegesgewillt sind. Bei den rund 20 im Koaltionsvertrag verankerten Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit sind gut 10 Ministerien gefordert, diese umzusetzen. Nehmen wir den Bundeskanzler als Trainer dazu, der ins Spiel eingreifen darf und muss, dann steht die Elf.

Mit der Aussage „Deutschland wird barrierefrei“ im Titel der Eckpunkte macht das „Team Deutschland barrierefrei“ ihren Siegesanspruch bei diesem Spiel deutlich, auch wenn das Ziel herausfordernd klingt und sicherlich nicht in 90 Minuten erreichbar sein dürfte. Aber an Verlängerungen sind wir bereits gewohnt, wichtig ist dabei, dass das Ziel klar ist und nicht verwässert wird. Denn so wie beim Begriff der Inklusion, der ständig verwässert wird, darf es uns beim Thema Barrierefreiheit nicht ergehen.

Mit dem Beschluss der Eckpunkten wurden bereits einige Eckpfeiler für die Spielstrategie festgelegt. Diese reichen von der finanziellen Förderung von Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit, über längst überfällige Gesetzesreformen beim Behindertengleichstellungsgesetz, beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und beim Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, bis zu Aufklärungsmaßnahmen zur Information und Bewusstseinsbildung. Diese Eckpfeiler sind in den Eckpunkten zum Teil recht klar formuliert, auch wenn es sicher noch viele Fragen gibt, wie konsequent diese umgesetzt werden. Im Strategiepapier für das nun anstehende Match steht dazu u.a.:

„Die Bundesregierung wird das Behindertengleichstellungsgesetz, das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz überarbeiten, um damit die Barrierefreiheit im öffentlichen und privaten Bereich voranzutreiben. Barrieren sollen systematisch abgebaut werden, auch im digitalen Raum. Dazu gehört unter anderem, dass private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen innerhalb einer angemessenen Übergangsfrist zum Abbau von Barrieren verpflichtet werden sollen, oder, sofern dies nicht möglich oder zumutbar ist, zum Ergreifen angemessener Vorkehrungen. Die Bundesregierung wird ihre Beratungsangebote für Barrierefreiheit ausbauen und dafür die Bundesfachstelle Barrierefreiheit stärken und ein Bundeskompetenzzentrum Leichte Sprache/Gebärdensprache einrichten.“

Die Zielsetzung, dass private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zum Abbau von Barrierefreiheit verpflichtet werden sollen hat man bisher noch nie in einem Kabinettsbeschluss einer deutschen Bundesregierung gelesen. Die Bedingungen für ein gutes und erfolgreiches Spiel scheinen an dieser Stelle gut zu sein. Sorge bereitet die finanzielle Ausstattung. Denn Fußballkenner*innen wissen, dass auch hier das Geld regiert. Und bisher sind die verfügbaren finanziellen Mittel für das große Spiel äusserst miserabel. Die Gegner scheinen hier wesentlich besser ausgestattet zu sein.

Zur Welt des Fußballs gehört aber auch, dass man nicht allein auf dem Spielfeld ist, sondern dass es immer Gegner gibt. Und diese Gegner von klaren Regelungen und Verpflichtungen zur Barrierefreiheit waren in der Vergangenheit besonders in Deutschland enorm stark, ja förmlich übermächtig, wie der FC Bayern München. Deshalb gibt es im 21. Jahrhundert immer noch so viele Barrieren und werden täglich neue errichtet, die so vielen Menschen die Teilhabe erschweren oder unmöglich machen. Hier wird abzuwarten sein, wie sich die Mannschaft aus Bundesregierung und Regierungskoalition gegen das Blockadespiel und die Angriffe der Barrierefreiheitsgegner durchsetzen und deren Attacken abwehren können. Dabei ist darauf zu achten, dass die Mannschaft geschlossen auftritt, denn wenn die eigenen Reihen nicht richtig geschlossen sind, kann man Spiele leicht verlieren.

Dass ein Fußballspiel entscheidend von der Stimmung im Stadion und der Unterstützung der eigenen Mannschaft lebt, das hat sich schon oft ganz praktisch gezeigt. Hier sind unter anderem die vermeintlichen Zuschauer*innen gefordert, die ebenfalls großen Einfluss haben. Auch für die Behindertenverbände und die Aktivist*innen der Behindertenbewegung gilt es nun, das Team anzufeuern, es immer wieder herauszufordern, dass das Spiel nicht vertändelt wird und mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Leider bedarf es neben den Anfeuerungsrufen manchmal auch ein zünftiges Pfeiffkonzert, wenn das Spiel nicht rund läuft und der Wille zum Sieg abhanden gekommen scheint. Auch darauf müssen die Zuschauer*innen vorbereitet sein.

Nun, da der Ball für ein barrierefreies Deutschland auf dem Spielfeld liegt, gilt es also, das für viele behinderte Menschen so enorm wichtige Vorhaben siegeswillig, konzentriert und konsequent anzugehen. Möge das Team barrierefreies Deutschland viele Treffer erzielen und richtig viel zu feiern haben. Hier können wir alle mitmachen, denn dabei geht es um die Verwirklichung und Achtung der Menschenrechte behinderter Menschen, von deren Umsetzung letztendlich das ganze Land profitiert.

Link zum Kabinettsbeschluss für die Eckpunkte zur Bundesinitiative Barrierefreiheit