Berlin: Es hätte ein Highlight werden können, als die Bundestagsabgeordneten am 15. Dezember 2023 über eine Stunde lang über das Thema Barrierefreiheit im Plenum des Deutschen Bundestages debattiert haben. Und dies, obwohl die Anträge der Oppositionspartei CDU/CSU keine Chance auf eine Verabschiedung durch die regierende Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatten. Die Debatte bewegte sich jedoch erneut zwischen den wiederholten Ankündigungen, was die Regierungskoalition in Sachen Barrierefreiheit noch vor hat, und der Unfähigkeit der CDU/CSU Fraktion für echte und wirksame Regelungen zur Barrierefreiheit einzutreten. Stephanie Aeffner von den Grünen nutzte die Gunst der Stunde und klärte die CDU/CSU darüber auf, was angemessene Vorkehrungen sind und wie unsinnig es ist, dass diese, wie von der Union geplant, erst in fünf Jahren kommen sollen. Und Winfried Oellers von der CDU zeigte anschaulich, dass man sich auf die beschworende Barrierefreiheit in den Köpfen à la CDU nicht einlassen sollte.
Kommentar von Ottmar Miles-Paul
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, heißt es so schön. Und das gilt auch für die deutsche Behindertenpolitik in diesen Tagen. Mittlerweile dürfte es auch den Letzten im Land klar sein, dass Barrieren die Teilhabe vieler behinderter Menschen massiv einschränken. Und so hätte der Deutsche Bundestag kurz vor Weihnachten mit der Debatte zum Thema Barrierefreiheit noch einmal ein Highlight setzen können, dass es ernsthafte Bemühungen gibt, den Abbau von Barrieren konsequent voranzutreiben bzw. den Aufbau neuer Barrieren konsequent zu verhindern. Dem war aber leider nicht so.
Denn die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP hat in der ersten Halbzeit ihrer Regierungszeit die Chance verpasst, erste entscheidende Zeichen zu setzen, dass sie es ernst mit den im Koalitionsvertrag verankerten Maßnahmen zum Abbau von Barrieren meint. Die bloße Ankündigung der Bundesinitiative Barrierefreiheit und die Einrichtung eines Beirats macht da noch keinen Frühling im kalten Winter des barrierenbehafteten Landes. So hangelten sich die Redner*innen der Regierungskoalition in der Debatte zwischen der Bloßstellung der CDU/CSU angesichts ihrer jahrzehntelangen Verhinderung von mehr Barrierefreiheit und der erneuten Ankündigung, dass sie noch einiges tun will, um die Regelungen in Sachen Barrierefreiheit zu verbessern.
Die CDU möchte die Chance der Oppositionszeit nutzen, um plötzlich zum Treiber für mehr Barrierefreiheit zu werden. Das Problem dabei ist die offenkundige Unglaubwürdigkeit im Lichte der letzten Jahre der Regierungsbeteiligung der CDU/CSU. Aber auch die Halbherzigkeit, wie sie das Thema angeht. Nach Barrierefreiheit zu rufen, aber bloß keine Verpflichtungen dafür zu schaffen, ist wie Wasch mir den Pelz, aber mach mich bloß nicht naß. Und so hat Stephanie Aeffner von den Grünen die Gelegenheit der Debatte genutzt, um deutlich zu machen, dass die Union keine Verpflichtung der Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit von Angeboten und Produkten will und die Einführung von angemessenen Vorkehrungen erst nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren möchte. Angemessene Vorkehrungen können sofort getroffen werden und brauchen keine lange Vorlaufzeit.
Und dann war da noch Wilfried Oellers, der Beauftragte für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen der CDU/CSU Bundestagsfraktion. Er trat als letzter Redner seiner Fraktion an und bei einem Staffellauf hätte man nun glauben können, dass er nochmal richtig Dampf in den Endspurt der Debatte bringen würde. Nachdem er in seiner Rede über einen Mitarbeiter der Unionsfraktion berichtet hatte, der „an den Rollstuhl gebunden“ ist, um kurz danach die nötige „Barrierefreiheit in den Köpfen“ zu beschwören, war die Luft auch aus seiner Rede raus. Vielleicht wollte er den Gottschalk machen, der in seiner letzten Wetten dass Sendung in wenigen Sekunden das Bewusstsein über Behinderung des letzten Jahrtausends aufleben ließ? Eigentlich schade, denn im Vorfeld der Debatte hatte die Unionsfraktion mit eben diesem Mitarbeiter einen guten Videofilm über dessen Arbeit und über Barrieren, mit denen er konfrontiert ist, veröffentlicht.
Verzichten wir also lieber auf den Abbau der Barrierefreieheit in den Köpfen à la CDU und hoffen darauf, dass die Regierungskoalition im nächsten Jahr endlich die Kurve für echte Verbesserungen in Sachen Barrierefreiheit und endlich die Verpflichtung privater Anbieter von Dienstleistungen und Produkten zur Barrierefreiheit mit entsprechenden Konsequenzen bei Nichteinhaltung gesetzlich verankern wird. Die Hoffnung stirbt ja dem Sprichwort zufolge zuletzt, vor allem so kurz vor Weihnachten. Immerhin hat Wilfried Oellers seinen Mitarbeiter nicht mehr an den Rollstuhl „gefesselt, sondern nur „gebunden“. Wenn das nicht Hoffung gibt?